WEBVTT 00:00:07.400 --> 00:00:10.669 Ob sich die Erinnerungskultur, die jüdische Erinnerungskultur verändern wird, weil die 00:00:10.869 --> 00:00:13.644 Zeitgenossen, weil die Augenzeugen langsam sterben?  00:00:13.844 --> 00:00:22.400 Ich würde sagen: ja das ist ja unvermeidlich und was ich glaube was geschehen wird ist, 00:00:22.600 --> 00:00:27.000 dass die Vergangenheit mythologisiert wird das ist ja auch unvermeidlich, 00:00:27.200 --> 00:00:31.800 wenn man selbst etwas nicht mehr erlebt hat und die Distanz wird immer größer 00:00:32.000 --> 00:00:38.065 dann wird immer mehr Fiktion dazukommen. Und man kann sagen, geraden wenn es  00:00:38.265 --> 00:00:43.203 um dieses Ereignis geht, ist das schrecklich oder ist das etwas was nicht geschehen darf,  00:00:43.403 --> 00:00:51.324 aber ich fürchte und ich glaube das ist auch nicht nur negativ, das kann man nicht aufhalten. 00:00:51.524 --> 00:00:59.519 Man kann nicht dafür sorgen, dass es nicht geschieht, es gehört einfach zur Zeit. 00:00:59.719 --> 00:01:06.157 Wenn etwas immer mehr Vergangenheit wird, wenn man selbst keine Erinnerung mehr an diese Zeit hat, 00:01:06.357 --> 00:01:12.221 nur durch die Eltern oder sogar Großeltern oder noch weiter dann fängt die Phantasie an.  00:01:19.581 --> 00:01:23.029 Ja europäischer Gedächtnisraum, Erinnerungen im globalen Zeitalter. 00:01:23.229 --> 00:01:29.451 Also es um Europa geht, dann haben wir ja in den letzten Jahren eine unheimliche Veränderung gesehen. 00:01:29.651 --> 00:01:36.204 Wie Europa wahrgenommen wird, was Europa ist, was es sein soll. Und das wird auch das Gedächtnis ändern.  00:01:36.404 --> 00:01:43.690 Und das sehe ich auch. Wenn ich nur Holland als Beispiel nehme, wie da über Vergangenheit geredet wird 00:01:43.890 --> 00:01:50.622 und welche Tabus gebrochen werden, dann würde ich sagen der europäische Gedächtnisraum hat sich schon geändert. 00:01:50.822 --> 00:01:59.999 Und das globale: ich weiß nicht ganz genau, was damit gemeint wird, aber wie ich es interpretiere –  00:02:00.199 --> 00:02:08.687 bei Migration, wenn Leute von einem Kontinent in den anderen gehen, da gehört auch dazu, dass 00:02:08.887 --> 00:02:19.303 dass Geschichten sich vermischen und dass man sich damit abfinden muss, dass Leute in einem Land leben, 00:02:19.503 --> 00:02:24.519 die einen ganz anderen Beziehung zur Geschichte dieses Landes haben, einfach weil sie woanders geboren sind,  00:02:24.719 --> 00:02:32.907 weil sie ihre eigene Geschichte haben. Und das gehört gerade zu Europa. 00:02:33.107 --> 00:02:40.186 Weil Europa hat sich noch nicht ganz damit abgefunden, dass es ein Emigrationskontinent geworden ist. 00:02:40.386 --> 00:02:46.484 Und die Versuche das aufzuhalten, das Gegenteil zu bewirken,  00:02:46.684 --> 00:02:50.646 diese Nostalgie, glaube ich, ist nicht nur gefährlich aber auch zwecklos. 00:02:57.300 --> 00:03:01.815 Kann man die jüdische Welt in New York vergleichen mit der in Europa, heutzutage? 00:03:02.015 --> 00:03:06.810 Ja und nein. Ich würde eher sagen nein: Denn für mich, der größte Unterschied ist  00:03:07.010 --> 00:03:14.520 ich habe ja einen Großteil von meinem Leben nicht den größten, aber fast die Hälfte in New York gelebt 00:03:14.720 --> 00:03:19.787 und die andere in Amsterdam. Die Frage ob man Jude ist oder nicht und was es bedeutet  00:03:19.987 --> 00:03:27.590 ist einfach in New York kein Thema. Und es wird auch fast nie benutzt in Diskussionen 00:03:27.790 --> 00:03:36.587 ganz anders ist es in Europa wo man sich immer wieder stellen muss und sich erklären muss 00:03:36.787 --> 00:03:44.580 wenn man als ein Jude wahrgenommen wird oder wenn man selbst sagt, ich bin ein Jude. Das ist ein großer Unterschied. 00:03:44.700 --> 00:03:51.164 Deshalb glaube ich, aber das gilt nicht nur für Juden aber auch für andere Leute aus anderen Minoriäten, 00:03:51.364 --> 00:03:54.672 dass New York ein ziemlich gelungener melting Pot ist 00:03:54.872 --> 00:04:01.928 wo man unabhängig von wo man herkommt oder welche Religion man hat  00:04:02.128 --> 00:04:09.184 man mit allen Schwierigkeiten, die da sind - gerade jetzt - noch immer ziemlich gut leben kann. 00:04:09.384 --> 00:04:17.366 Ich würde sagen, etwas besser als in Europa. Aber dazu muss ich sagen: 00:04:17.566 --> 00:04:17.565 Ich bin wirklich Europäer geworden in New York.  00:04:17.765 --> 00:04:24.049 Da wurde mir klar, dass ich, auch wenn ich in New York bleibe und ich bin in NY geblieben bis jetzt 00:04:24.249 --> 00:04:28.492 ich einfach nie Amerikaner werden kann und auch nicht werden will. 00:04:28.692 --> 00:04:33.885 Also ein Amerikanischer Reisepass ja, aber ich bin einfach irgendwo anderes aufgewachsen. 00:04:34.085 --> 00:04:41.384 Und ich habe ein anderes Verhältnis zur amerikanischen Kultur als z.B. zur europäischen 00:04:41.584 --> 00:04:44.927 und das brauche ich auch gar nicht zu verneinen. Ich würde sogar behaupten,  00:04:45.127 --> 00:04:49.097 dass New York eine europäische Insel in den Vereinigten Staaten ist.  00:04:56.566 --> 00:04:56.566 Vieles. Und ich glaube die Erinnerungskultur und die Literatur sind auch kein 00:04:56.766 --> 00:05:03.302 Es ist nicht so: hier ist die Erinnerungskultur und da ist die Literatur 00:05:03.502 --> 00:05:12.179 Die Literatur hilft auch, Erinnerungskultur zu sein. Und unabhängig, welche Geschichte 00:05:12.379 --> 00:05:16.071 Erinnerung ist immer auch etwas Subjektives. 00:05:19.844 --> 00:05:22.407 Ich schreibe ja Roman aber ich schreibe auch Journalismus 00:05:22.607 --> 00:05:25.193 und ich versuche die Zwei so gut wie möglich zu scheiden, 00:05:25.393 --> 00:05:29.491 wenn ich ein Stück in der Zeitung schreibe und Leute zitiere, dann ist für mich unheimlich wichtig, 00:05:29.691 --> 00:05:32.328 dass ich sie korrekt zitiere, dass sie Namen richtig sind uns so weiter. 00:05:32.528 --> 00:05:37.480 Ich glaube nicht, dass es da mit Fiktion eine Mischung geben soll. 00:05:37.680 --> 00:05:45.045 das ist gerade jetzt ziemlich gefährlich. Aber ich würde trotzdem behaupten, dass auch in Erinnerungen 00:05:45.245 --> 00:05:49.428 das merke ich auch selbst, wenn ich mit Leuten rede - wir reden über den selben Abend  00:05:49.628 --> 00:05:52.599 man bekommt verschiede Geschichten.  00:05:53.300 --> 00:06:01.002 Die Frage war: was kann die Kunst? Die Kunst hat sicher die Freiheit um sich nicht an die Tatsachen 00:06:01.202 --> 00:06:05.705 oder anders an die Tatsachen zu halten. Wenn es um Kunst geht, wenn ich einen Roman schreibe 00:06:05.905 --> 00:06:10.553 brauche ich nicht zu denken: ach, habe ich diese Figur korrekt zitiert 00:06:10.753 --> 00:06:13.717 oder: Stimmt das? War es genau so? 00:06:13.917 --> 00:06:20.067 Ich erfinde etwas, aber durch die Erfindung kann man auch tiefer in die Wahrheit reingehen 00:06:20.267 --> 00:06:25.679 Gerade weil man nicht an die Tatsache gebunden ist, kann man auch 00:06:25.879 --> 00:06:29.431 und ich finde das ist ein großes Wort, aber es ist wenn es um Literatur geht  00:06:29.631 --> 00:06:31.665 noch immer ein wichtiges Wort, würde ich sagen, kann man 00:06:31.865 --> 00:06:35.539 näher an etwas herankommen, an die condition humaine 00:06:35.739 --> 00:06:44.896 oder kann man etwas sagen, was vielleicht wahrer ist, als dasselbe was man sagen wollte 00:06:45.096 --> 00:06:50.627 in einem journalistischen Stück oder in einem Essay. Das ist was die Kunst kann. 00:06:50.827 --> 00:07:00.285 Gerade weil die Imagination kann ja nicht umsonst vieles, was ein Journalist nicht kann. 00:07:07.917 --> 00:07:12.449 Ich finde Provokation um der Provokation willen ist immer einfach langweilig. 00:07:12.649 --> 00:07:17.230 Und ich habe gar nichts gegen political correctness. Ich habe sie auch oft verteidigt. 00:07:17.430 --> 00:07:24.242 Die political correctness ist nicht umsonst da. Für mich ging es eher in der Jüdische Messias 00:07:24.442 --> 00:07:30.781 nicht darum, gegen die political correctness anzustossen, aber um einen Gedanken zu Ende zu denken. 00:07:30.981 --> 00:07:36.925 Ich behaupte auch immer, eigentlich finde ich die meisten meiner Romane ziemlich realistisch. 00:07:37.125 --> 00:07:43.699 Also ein anderer Realismus als der Realismus über den man oft spricht in Verbindung zu Literatur. 00:07:43.899 --> 00:07:49.004 Aber ich glaube, so skurril und so merkwürdig sind meine Romane eher nicht 00:07:49.204 --> 00:07:53.572 Es ist die Wirklichkeit, die ich beschreibe. Und ich versuche so genau wie möglich zu beschreiben. 00:07:53.772 --> 00:08:02.224 die diese Skurrilität hat. Und gerade wenn man auch mit Leuten spricht, 00:08:02.424 --> 00:08:08.718 die sich unbeobachtet fühlen oder geschützt, dann hört man ja vieles, das nicht political correct ist. 00:08:08.918 --> 00:08:12.721 Und ich glaube es ist wichtig auch, das nicht zu verneinen, dass das da ist. 00:08:12.921 --> 00:08:20.410 Ein Roman der nur erziehen will ist nicht nur ein schlechter Roman,  00:08:20.610 --> 00:08:22.000 aber ich glaube auch ein schlechter Erzieher. 00:08:29.080 --> 00:08:31.693 Gibt es ein normales, unbefangenes Verhältnis zum Judentum? 00:08:31.893 --> 00:08:39.858 Für mich nicht. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das für einen Amerikanischen Juden aus Ohio 00:08:40.058 --> 00:08:48.538 gut möglich ist. Oder eher möglich ist. Für mich ist der Begriff Judentum, die jüdische Identität 00:08:48.738 --> 00:08:58.037 auch verbunden mit Scham. Ich kann die zwei nicht losmachen.  00:08:58.237 --> 00:09:04.746 Für mich ist Scham eine wichtige Emotion. Und auch nicht nur eine negative Emotion, gar nicht. 00:09:04.946 --> 00:09:11.743 Aber die hat für mich viel zu tun mit der Tatsache, dass ich Jude bin und als Jude wahrgenommen werde. 00:09:11.943 --> 00:09:18.943 Und das macht es auch schwierig, ein Verhältnis zu haben, das unproblematisch ist 00:09:19.143 --> 00:09:24.065 Aber man kann sich vielleicht auch fragen: Was bedeutet es ein unproblematisches 00:09:24.265 --> 00:09:28.518  Verhältnis zur eigenen Identität zu haben? Oder was für Identität hat man dann? 00:09:28.718 --> 00:09:36.514 Es ist auch nicht so, dass ich mich sehne jetzt noch nach einem unproblematischen Verhätnis. 00:09:36.714 --> 00:09:40.866 Ich bin daran so gewöhnt, ich kann mit nicht vorstellen, dass es anders ist.  00:09:41.066 --> 00:09:49.110 Und dadurch glaube ich wird das, was einmal negativ war auch zu etwas Positiven 00:09:49.310 --> 00:09:57.350 jedenfalls zu einer Kraft. Zu etwas, was auch Energie gibt und zum Beispiel auch Inspiration 00:09:57.550 --> 00:10:06.787 Meine Bücher, meine schriftstellerische Arbeit, ist ja auch aus diesem problematischen Verhältnis hervorgekommen 00:10:06.987 --> 00:10:12.299 und ich persönlich sehe meine Bücher als etwas Positives. Nicht nur für mich, aber auch für die Leser.